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Zum Artikel vom 07.01.2020

Heute erreichen mich Anfragen, was genau das Problem war und warum wir anders als andere Inklusionsunternehmen sind. Ich versuche mal, die Probleme, die es aus dem Weg zu räumen galt, zu erläutern. In einem Zeitungsartikel muss ja aus Platzgründen alles etwas zusammengefasst werden.

Zunächst möchte ich sagen, dass es nicht an den Mitarbeitern der Agentur für Arbeit, der BBS oder des Integrationsamts gelegen hat, sondern an den Vorschriften, die existieren.

Hier hatte Frau Marja Liisa Völlers, MdB, auch bereits eine Problemschilderung mit möglicher Lösung von uns mit nach Berlin genommen. Die Antwort aus Berlin hat aber gezeigt, dass die Möglichkeiten, die auf dem Papier stehen, eben immer einen Haken haben und eigentlich immer mit Hürden verbunden sind. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir niemanden generell ausschließen, d.h. wir gucken uns auch nicht arbeitsfähige Menschen mit Behinderung an, um herauszufinden, ob nicht doch was möglich ist. Dieses Verfahren / Überprüfung kann einige Wochen oder Monate dauern. Gerade bei Autisten, da man erstmal einen Zugang zu ihnen finden muss. Diese Arbeit wird durch unseren Mehrgenerationenhaus Bückeburg e.V. in Zusammenarbeit mit dem Therapieteam Thiemann vorgenommen. Hier werden alle Bereiche überprüft (Freizeit, Wohnen und Arbeit). Bei den 3 Jugendlichen im Artikel ist das erfolgt und wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass jeder etwas kann und auch 5 Stunden arbeiten kann, wenn der Arbeitsplatz und die Arbeitszeiten- und Abläufe auf die Personen abgeändert werden.

Was machen wir also anders?

  1. Wir grenzen vorab niemanden aus, egal ob arbeitsfähig oder nicht.
  2. Wir haben keine Stellen für die wir Personal suchen, sondern Bereiche. Also, wir wissen, welche Aufgaben abgedeckt werden müssen, schreiben diese aber nicht in einer Stelle fest, sondern suchen Personal und gucken, was der Mitarbeiter/in abdecken kann und was noch an Aufgaben übrig bleibt. Dann gucken wir uns den nächsten Menschen mit Behinderung an und gucken, ob der Rest damit abgedeckt werden kann. Das machen wir so lange, bis alle Arbeitsbereiche aufgeteilt sind. Wir suchen also keine Mitarbeiter für Stellen, sondern Stellen für Mitarbeiter.

Was wollten wir?

Wir möchten, dass auch Menschen mit Behinderung einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz erhalten und dafür auch entsprechend bezahlt werden – kein Taschengeld.

Was war das Problem?

  1. Alle 3 Jugendlichen gelten als “nicht” für den 1. Arbeitsmarkt geeignet. Das bedeutete, dass die Agentur für Arbeit uns als Arbeitgeber keinen Eingliederungszuschuss zahlen konnte. Ohne finanzielle Unterstützung geht es aber nicht, da diese Art zu Arbeiten am Anfang sehr aufwändig ist und auch die Beschäftigung von stärker beeinträchtigten Menschen sehr aufwändig ist, da es hier auch um emotionale und seelische Unterstützung geht.
  2. Dann haben wir bzw. die Jugendlichen das Budget für Arbeit beantragt. Hier hätte es auch Zuschüsse gegeben. Wäre optimal gewesen. Das ging aber nicht, da die 3 nach der Schule keine Ausbildung gemacht haben und sich geweigert haben, in den Eingangsbereich der Werkstatt zu gehen. Sie wollten nicht separiert werden. Ohne dem bekommt man kein Budget für Arbeit.
  3. Dann der Vorschlag, das Budget für Ausbildung zu beantragen. Bedeutet, die 3 müssten zur Berufsschule gehen. Das ist in diesen Fällen nur bedingt möglich. Wir haben uns nach einer betrieblichen Ausbildung erkundigt. Vorschlag der BBS. “theoriegeminderte Ausbildung”. Bedeutet z.B. statt Ausbildung zum Koch, dann Beikoch. Wäre auch für alle i.O. gewesen. Dann aber wieder ein Haken. Die Ausbilder benötigen eine REZA Zusatzqualifikation. Die haben wir natürlich noch nicht, da wir ja noch gar nicht ausbilden wollten, sondern erst in 3 Jahren. Wir haben ja erst gerade eröffnet. Also ging das auch nicht.
  4. Dann haben wir das Programm “Arbeiten ohne Hindernisse” beim Integrationsamt beantragt – als letzte Möglichkeit Unterstützung zu erhalten. Dann hatte die Agentur für Arbeit noch eine Idee. Auf Grund der Besonderheit unseres Inklusionsunternehmens und des individuellen Zuschnitts der Arbeitsplätze wurde eine erneute Überprüfung der 3 Jugendlichen auf Arbeitsfähigkeit unter diesen Bedingungen geprüft. Also arbeitsfähig nur für unseren Betrieb. Ärztliche Stellungnahmen, betriebliche Stellungnahmen und Stellungnahmen vom Therapieteam Thiemann wurden eingereicht. Arbeitsassistenzen wurden beantragt. Dann das erfreuliche Ergebnis. Alle 3 Autisten sind unter den Bedingungen in unserem Betrieb “arbeitsfähig”.

Jetzt bekommen wir Eingliederungszuschüsse und Arbeitsassistenzen von der Agentur für Arbeit in Zusammenarbeit mit dem Integrationsamt. Ein langer Weg!

Ich bedanke mich bei allen Mitarbeitern der verschiedenen Ämter für das Engagement, eine Lösung für die 3 zu finden!

Einfacherer wäre es, wenn Unternehmen am 1. Arbeitsmarkt generell Menschen mit Behinderung – egal wie diese eingestuft sind – mit einer 2-jährigen Erprobungszeit einstellen dürften – und für 2 Jahre einen Eingliederungszuschuss oder eine Arbeitsassistenzen bekommen würden. Also einen Anspruch darauf hätten. Dann würde die Inklusion auch voran kommen, da jeder Betrieb prüfen könnte, ob jemand integriert werden kann oder nicht. Risiko in der neuen Erprobungszeit: Die stärkeren Regelungen z.B. Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung setzen erst nach den 2 Jahren ein, damit Betriebe überhaupt erstmal die Türen öffnen, Ängste und Vorurteile abbauen können, Kollegen zusammenführen können, Arbeitsabläufe umstellen können und einen Arbeitsplatz für diese Person herauslösen können. Die Menschen mit Behinderung, mit denen ich gesprochen habe, sind aber bereit, diesen Weg zu gehen, weil es eine Chance ist. Für Schulabgänger mit Behinderung hätte die vorprogrammierte Umleitung in die Werkstätten ein Ende. Sie hätten eine tatsächliche Wahl, wenn genügend Unternehmen mitmachen. Was haben sie denn zu verlieren? Ich bin mir sicher, dass das einige machen würden, wenn es eine 2-jährige Erprobungszeit geben würde. Sie wären nach der inklusiven Schullaufban weiter mittendrin und könnten zeigen was sie können.

Kurz gesagt, was die Inklusion im Bereich Arbeit braucht:

Ein Gesetz, das sagt, es gibt ein Programm, welches wir mal “Arbeitserprobung” nennen und jeder Mensch mit Behinderung hat Anspruch darauf. Es gibt bei Bedarf Arbeitsassistenzen und Eingliederungszuschüsse und dies liegen “nicht” im Ermessen der Behörde – also sachbearbeiterabhängig, sondern sind an den Grad der Behinderung oder einer Art der Behinderung gekoppelt. Einen Rechtsanspruch. Ein Förderprogramm für alle, damit man nicht von Behörde zu Behörde muss und immer wieder irgendwelche Kriterien irgendein Programm ausschließt, wie es z.B. jetzt ist: “Kein Budget für Arbeit, wenn keine Ausbildung bzw. Budget für Ausbildung vorhergeht” Warum? Es gibt Menschen mit Behinderung, die zwar die Berufsschule nicht schaffen können, aber die arbeiten können. Die nicht in den Eingangsbereich der Werkstatt möchten.

Ich hoffe, ich habe nichts vergessen und wir würden uns freuen, wenn viele Unternehmen diesen Weg mitgehen würden. Vielleicht bekommen wir ja eine Liste von Firmen zusammen, die unter diesen Bedingungen mitmachen würden. Dann könnten wir vielleicht noch mehr bewegen. Eine E-Mail oder ein Facebookbenachrichtigung reicht.

Also, nochmal DANKE an alle Ämter, die uns unterstützt haben und an Frau Völlers!

Viele Grüße

Manuela Tarbiat-Wündsch